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Nachwuchsautoren im Gespräch: Matthias Thurau 

 11. Oktober 2019

Interviews mit Bestseller-Autoren gibt es überall. Also her mit den Nachwuchsautoren!

Diese Woche stelle ich Matthias Thurau vor, dessen Werk von vielerlei Einflüssen und dem täglichen Kampf auf dem Papier geprägt ist.

Hallo Matthias. Vielen Dank, dass Du Dir Zeit nimmst, um mir ein paar Fragen zu beantworten.

Du schreibst in den Bereichen Erzählung, Lyrik, Romane. Wie bist Du dazu gekommen? Was schreibst Du am liebsten und warum?

Angefangen habe ich als Teenager mit Lyrik aus verschiedenen Gründen. Meine Konzentration reichte kaum aus für längere Texte. Romane zu lesen, war eine Qual. Also las ich stattdessen Lyrik und wurde davon beeinflusst. Hinzu kommt, dass ich schnell merkte, wie gut man Gefühle und Gedanken in Gedichten sozusagen getarnt ausdrücken kann. Ich konnte über Dinge schreiben, über die ich nicht sprechen konnte, ohne dabei zu verraten, was wirklich in mir vorging. Ein Text ist ein Dialog zwischen Leser*in und dem Text an sich, nicht zwischen Leser*in und Autor*in. Man muss also keine Nachfragen beantworten. In der Lyrik konnte ich immer schnell und intuitiv Erfahrungen verarbeiten. Später fand ich dann die Ruhe, um auch anderes zu lesen und damit hat sich auch mein Schreiben verändert. An Kurzgeschichten faszinierte mich immer, dass man, wenn man das Talent dazu hat, ein komplettes Schicksal auf ein paar Seiten zusammenfassen kann. Borchert ist für mich der Meister in dieser Sparte. So gut bin ich leider (noch) nicht. Da ich aber schon immer sehr knapp war in meinen Ausführungen, passten Kurzgeschichten und Erzählungen (10 bis 50 Buchseiten) gut zu mir. Außerdem war es ein Zwischenschritt, um zu Romanen zu kommen. Die wollte ich schon immer schreiben, aber mir fehlte lange Zeit die Ausdauer dafür. Es passierte zu viel in meinem Leben. Mit etwa 26 änderte ich viele Verhaltensweisen und mit 30 dann nochmal radikal. Ich schrieb vier Romanmanuskripte, mehrere Erzählungen und noch immer Gedichte. Das vierte Manuskript wurde dann Sorck, meine erste Veröffentlichung. Es war also ein langer Weg, auf dem ich mich selbst und meine Arbeit fand.

Du bist Self-Publisher. Hat es Dich nie gereizt, bei einem Verlag zu veröffentlichen? Was schätzt Du am Self-Publishing? Wozu hättest Du gerne einen Verlag im Rücken?

Ich würde gerne mit Verlagen zusammenarbeiten. Nachdem ich viele Jahre nur den Traum vom Autorendasein hatte, ohne ihn wirklich zu verfolgen, und dann von jetzt auf gleich endlich loslegte, hatte ich das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben. Das führte dazu, dass ich das Manuskript zu schnell an Verlage schickte und verständlicherweise Absagen erhielt. Das war gut so. Ich setzte mich nochmal dran und überarbeitete mehrere Monate lang. In der Zeit entschied ich mich auch fürs Self-Publishing, weil ich frei sein wollte in allen Entscheidungen und auch der Ansicht war, dass Verlage vermutlich nach der ersten Anfrage kein zweites Mal dasselbe Manuskript, wenn auch verändert, prüfen würden. Ich mag es, alle Arbeitsschritte und Details selbst in der Hand zu haben. Jeder Satz ist so, wie ich ihn haben wollte, und das Cover habe ich mit einem guten Freund zusammen gestaltet. Rundum ist Sorck mein Werk und das ist viel wert.

Dennoch werde ich meinen nächsten Roman, der bereits recht weit fortgeschritten ist, zunächst an Verlage schicken. Einerseits erhoffe ich mir damit mehr Reichweite. Es hilft nicht, gute Bücher zu schreiben, wenn niemand weiß, dass es sie gibt. Andererseits gibt es Arbeiten, die ich ungern mache oder mir kaum leisten kann: Klappentext, Kategorisierung und Lektorat. Allein die finanzielle Leistung, die ein Verlag übernimmt, ist ein massiver Anreiz für mich. Der Status, veröffentlicht zu werden und nicht „nur“ selbst zu veröffentlichen, spielt aber sicherlich auch in die Entscheidung hinein. Sollte kein Verlag das Buch ins Programm aufnehmen, veröffentliche ich wieder selbst. Diese Entscheidungsfreiheit ist großartig und gibt mir die Sicherheit, dass garantiert alles erscheinen wird, was ich veröffentlichen möchte.

Gedrucktes Buch oder E-Book – was liest Du selbst lieber?

Definitiv Papier. Einen E-Book-Reader besitze ich gar nicht. Ein richtiges Buch in die Hand zu nehmen, Markierungen zu machen und es dann mit Stolz repräsentativ ins Regal zu stellen, ist Teil des Lesens für mich. Allerdings habe ich schon häufig darüber nachgedacht, auf E-Books umzusteigen. Hauptsächlich aus zwei Gründen: Es wäre besser für die Umwelt und außerdem günstiger.

Wie sieht ein typischer Tagesablauf bei Dir aus?

Aufstehen, waschen, arbeiten. Ich frühstücke nicht, sondern starte kurz nach dem Aufstehen mit meiner Arbeit. Üblicherweise erledige ich vormittags alles Geschäftliche, z. B. Buchladenbesuche, um meine Werke vorzustellen, Interviews, Papierkram etc. Sollte wenig Derartiges anstehen, geht es direkt an die Textarbeit. Es gibt eine frühe Mittagspause. Danach wird weitergearbeitet. Alle zwei Tage trainiere ich für ein bis zwei Stunden am Nachmittag. An den restlichen Tagen arbeite ich auch dann. Mit dem Abendessen endet in den meisten Fällen der produktive Teil des Tages und ich nehme mir Zeit für Freunde, Konzerte, Spaziergänge, um zu lesen, Filme zu gucken oder zu malen. Es kommt aber auch vor, dass ich abends noch weitermache.

Schreibst Du jeden Tag?

Es gibt Ausnahmen, aber im Normalfall schreibe bzw. arbeite ich jeden Tag und zwar vier bis zwölf Stunden. Eine 40-Stunden-Schreibwoche habe ich also mit Sicherheit. Das führt leider dazu, dass ich es mit den Pausenzeiten nicht so genau nehme, mir Stress mache und nach Abschluss größerer Projekte oft krank werde. Dann holt sich mein Körper die Ruhe, die er braucht. Um das zu verhindern, plane ich inzwischen kurze „Urlaube“ ein, also ein paar Tage, an denen ich bewusst literarisch keinen Finger krumm mache, sondern beispielsweise stundenlang Comics lese. Das hilft sehr.

Englische Autoren werden gerne gefragt, ob sie „Plotter“ oder „Pantser“ sind, also Planer oder Bauchschreiber. Zu welcher Fraktion gehörst Du?

Eindeutig Plotter. Die Aufteilung wäre bei mir ungefähr diese: 35% Planung, 15% Schreiben, 50% Überarbeitung. Zwar versuche ich als Übung und zur Abwechslung manchmal, einfach drauflos zu schreiben (und auch häufig mit einem gewissen Erfolg), aber zuhause fühle ich mich in der Planung. Es kommt aber vor, dass ich Fragmente spontaner Schreiberei in meine durchgeplanten Projekte schmuggele. Wenn beispielsweise mein recht schweigsamer Protagonist Martin Sorck an einer Stelle im Roman endlich mal den Mund aufmacht und sich richtig auskotzt, ist das eine komplett frei und ursprünglich ohne Zusammenhang mit Sorck geschriebene Passage, die nur leicht angepasst wurde. Gefühlsausbrüche sind von ihrer Natur aus spontan und deshalb passte das so gut. Einen kompletten Roman könnte ich allerdings nicht auf diese Weise verfassen.

Viele Autoren schwören auf Kaffee beim Schreiben. Welche Geheimmittel bringen Dich durch lange Schreibphasen?

Im schlimmsten Fall eine Herzinfarkt-Kombo aus Cola und Monster Energy. Mir wurde erzählt, dass LKW-Fahrer das manchmal trinken, um nachts durchzuhalten. Nach einer Weile oder wenn ich überdosiere, ist mein Gehirn dann allerdings nur noch Brei und mein Körper will auch nicht mehr. Damit schafft man eine ganze Menge, aber macht sich auch kaputt. Das ist deutlich spürbar. Kaffee mochte ich nie. Daher zügele ich meinen Koffein-Zufluss etwas und trinke lieber schwarzen Tee mit Milch.

Welche Themen oder Zeiten interessieren Dich beim Schreiben am meisten? Worüber würdest Du niemals schreiben?

Meine Geschichten spielen alle in unserer Zeit oder der nahen Zukunft, sofern man sie überhaupt zeitlich einordnen kann. Gelegentlich kommt meiner Meinung nach ein 20er-Jahre-Flair auf, aber ich bin mir nicht sicher, ob man das als Leser*in bemerkt. Zeiten spielen keine große Rolle für mich, da es hauptsächlich um innere Zustände geht, auch mal in einem gesellschaftlichen Kontext. Seltsamerweise plane ich selten eine gesellschaftskritische Ebene ein, aber sie taucht immer wieder auf. Außenseiter- und Suchtproblematik spielen eine große Rolle in meinen Werken, außerdem philosophische Ideen. Etwas, das ständig wieder auftaucht, sind Labyrinthe in irgendeiner Form. Woher genau das kommt, weiß ich nicht. Ich mochte immer labyrinthische Texte und Texte, in denen Labyrinthe vorkommen: Kafkas Geschichten oder die von Jorge Luis Borges, einiges von Dürrenmatt oder Calvino. Labyrinthe tauchen auch immer wieder in meinen Träumen auf. Außerdem sind meine Texte niemals naturalistisch, sondern tendieren zum magischen Realismus. Beispielsweise liebe ich das Gefühl, das Kafka in mir auslöst, dass irgendetwas mit der Welt nicht stimmt, weil Details oder Geschehnisse nicht zu unserem Verständnis der Realität passen. Das beste Beispiel dafür wäre wohl Der Prozess.

Grundsätzlich ausschließen möchte ich kein Genre, kein Thema und keine Zeit, aber beispielsweise mit Fantasy oder dem Mittelalter hätte ich Schwierigkeiten.

Von welcher historischen Persönlichkeit könntest Du Dir vorstellen, dass sie in Deinen Büchern auftaucht? Oder ziehst Du fiktive Charaktere vor?

Fiktive Figuren ziehe ich vor, aber ich bin ein großer Fan davon, wenn man als Hommage andere Literaten versteckt in eigene Werke verbaut. Der blinde Bibliothekar Jorge in Ecos Der Name der Rose ist beispielsweise eine Hommage an Jorge Luis Borges, der die letzten Jahre seines Lebens blind war und gleichzeitig die argentinische Nationalbibliothek leitete. So hat Hermann Burger in gewisser Weise einen winzigen Auftritt in meinem Roman Sorck. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass ich es ähnlich handhaben würde wie Daniel Kehlmann in Die Vermessung der Welt und aus realen Personen fiktive Figuren mache. Da scheue ich mich aber vor der enormen Recherchearbeit.

Müsste ich eine historische Persönlichkeit verwenden, würde ich mich wohl für Emanuel Swedenborg entscheiden, weil man aus seinen Begegnungen mit Engeln und den Reisen in den Himmel und die Hölle, die er so trocken und „wissenschaftlich“ aufgeschrieben hat, einiges machen könnte. Diese Mischung aus Genialität, Bürgerlichkeit und Wahnsinn bildet eine gute Grundlage für alle möglichen Geschichten.

Woher nimmst Du die Ideen für Deine Bücher? Fallen Dir die spontan ein oder hast Du eine Sammlung, aus der Du schöpfen kannst?

Die Grundlage meiner Werke ist Lebenserfahrung. Ich habe Dinge erlebt und durchstanden, die man sich teils schwer vorstellen kann. Es gibt also mehr als genug Stoff. Auslöser für den Plot, Kernbilder oder Figuren kommen meist spontan aus unerwarteten neuen Erlebnissen und Eindrücken. Manchmal aber interessiert mich auch ein bestimmtes Thema und ich überlege aktiv, wie ich es umsetzen könnte. Aus all dem kommen dann mehr Ideen, als ich umsetzen kann. So geht es vermutlich allen Schreibenden. Also sammele ich auch. Hätte ich plötzlich keine neuen Ideen mehr, könnte ich trotzdem noch einige Jahre weiterarbeiten auf Grundlage meiner Sammlungen. Längere Texte sind meist eine Kombination der verschiedenen oben genannten Ideengeber. Sorck beispielsweise startete als sprachliches Experiment, nachdem ich sehr viel von Hermann Burger gelesen hatte. Daher übrigens die ungewöhnliche Sprache. Als Gerüst habe ich eine Kreuzfahrt genommen, die ich vor etlichen Jahren selbst gemacht habe. Die Thematik stammt aus meinem Leben, einige Elemente sind eine Hommage an literarische Werke (wie oben beschrieben) und dann kam noch Spontanes obendrauf, wie ebenfalls weiter oben gesagt.

Hast Du schon einmal überlegt, ein Buch mit einer Frau als Protagonistin zu schreiben?

Ja, ist geplant, aber wie viele andere Ideen bisher nicht umgesetzt worden. Irgendwann wurde mir bewusst, dass meine Protagonisten automatisch Männer werden. Das gab mir zu denken. Sobald die bereits durchgeplanten Projekte fertiggestellt sind, habe ich vor, eine oder mehrere Protagonistinnen zu verwenden oder ohne Erwähnung des Geschlechts (in Ich-Perspektive) zu arbeiten. Es spricht schließlich nichts dagegen und könnte mein Werk positiv erweitern. Es warten noch so viele Ideen und Experimente auf mich. Ich freue mich darauf.

Hast Du literarische Vorbilder? Wenn ja, wen?

Es gibt einige literarische und philosophische Vorbilder. An Hermann Hesse mag ich die Darstellung innerer Prozesse in Handlungen und Figuren (Beispiel: Hermine in Der Steppenwolf als weiblicher Teil Harry Hallers nach Jungscher Psychologie). Bei Daniel Kehlmann liebe ich die Übergänge von einer Realitätsstufe zu einer anderen, beispielsweise bei Szenen, in denen jemand ertrinkt oder wenn eine Drogenwirkung eintritt. Hermann Burger ist der Meister komplexer sprachlicher Aufbauten und der Vermischung von Realien und Irrealien, wie er es nennt: Fakten, die man für erfunden hält, und Erfundenes, das man für wahr hält, sowie generell der Vermischung scheinbar nicht zueinander passender Elemente. Außerdem mochte ich immer seinen recht kalten und dann plötzlich heiß ausbrechenden Umgang mit der Problematik des Suizids (siehe Tractatus logico-suicidalis und das Ende von Die künstliche Mutter). Die Philosophie von Albert Camus und Sartre hat mich stark beeinflusst, die Exzesse in Sachen Alkohol, Drogen und Wut von Bukowski, Hunter S. Thompson oder Céline waren prägend. Die wunderschönen, intelligenten und traurigen Gedichte von Ingeborg Bachmann haben mich tief beeindruckt. Dann wäre Kafka extrem wichtig für dieses gewisse Unwohlsein und das oben erwähnte Labyrinthische in seinen Werken. Die Verknüpfung aus komplexen Ideen und faszinierenden kurzen Bildern bei Borges hat mich ebenfalls beeinflusst. Ich fasse mich hier kurz, obwohl ich merke, wie ich ins Schwärmen gerate. Kurz gesagt: Ich strebe nicht danach, wie ein*e andere*r zu schreiben, aber ich bewundere andere und das ändert meinen Stil.

Welches Buch liegt aktuell auf Deinem Lesestapel?

Mein Lesestapel ist (leider?) ein Leseregal. Ich habe noch genug ungelesene Bücher in meiner Wohnung, um die nächsten Jahre damit auszukommen. Was als nächstes ansteht, vermag ich noch nicht genau zu sagen, aber vermutlich eine Sammlung von Erzählungen von Camus, Kafkas Tagebücher, eventuell Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Ende Oktober steht eine Schreibpause an und dann werde ich wohl Comics lesen: Grant Morrison mit Batman: R.I.P., den zweiten Band von Moores Swamp Thing oder Teil zwei von Larcenets Blast. Im Regal warten aber noch Romane, Lyrik, Erzählungen, Sachbücher und Philosophisches aus über 2000 Jahren Menschheitsgeschichte und aus vielen verschiedenen Ländern. Ich lese viel zu langsam für meine Interessen.

Was findest Du beim Schreiben eines Textes am schwierigsten?

Beim Schreiben an sich fallen mir Dialoge am schwersten. Das Mittelmaß zwischen literarischer und real gesprochener Sprache zu finden, ohne dass es falsch klingt, macht mir Probleme. Außerdem stellt sich ständig die Frage, wie Figuren reagieren und reden würden. Durch einen Wortbeitrag fixiert man eine Figur stärker, als ich es eigentlich mag. Zwar habe ich eine klare Vorstellung meiner Figuren, aber diese Vorstellung möchte ich den Lesenden nicht aufzwingen, sondern ihnen die Freiheit geben, sich selbst ein möglichst freies, eigenes Bild zu schaffen. Daher sind meine Beschreibungen von Äußerlichkeiten auch sehr zurückhaltend. Ich glaube, dass man sich besser mit einer Figur identifizieren kann, wenn man sie sich selbst zu einem großen Teil formt. Wenn man eine exakte Beschreibung vom Aussehen, der Ausdrucksform und aller Handlungen vorgesetzt bekommt, verliert man ein Stück Lesefreiheit oder ist gezwungen, Details zu ignorieren, um die Figur an die eigenen Vorstellungen anzupassen. 

Deine Website trägt den Titel „Papierkrieg“, Dein Blog läuft unter „Autorsein als Kampfakt“. Was ist für Dich so martialisch am Autorendasein? Siehst Du auch Vorzüge?

Für mich war das Leben immer eine Art Kampf, meistens mit mir selbst. Schreiben ist Arbeit, egal wie erfüllend es sein mag. Gerade zu Beginn dieser andauernden Schreibphase musste ich mich ständig zwingen, das zu tun, was ich tun wollte. Die Alternativen (Netflix usw.) sind attraktiv durch ihre Anspruchslosigkeit. Ich kämpfe gegen mich, um Buchhandlungen zu besuchen und dort mit Fremden über meine Werke zu sprechen, ich überwinde mich, zu Messen zu gehen, und ich dränge mich, an meinen Projekten zu arbeiten. Inzwischen ist das zum Automatismus geworden und der Kampfaspekt gerät in den Hintergrund, aber er ist immer noch da. Ich habe jahrelang ein sehr nihilistisches (vielleicht ein wenig hedonistisches) Dasein geführt und musste mich – da haben wir es wieder – erst herauskämpfen. Einerseits bin ich getrieben in meiner Arbeit und andererseits drängt es mich, den ganzen Tag zugedröhnt in der Ecke zu liegen (um es mal radikal auszudrücken). Die Reibung dazwischen ist Kampf. Genau dort spielt sich mein Leben ab und, um ehrlich zu sein, die meiste Zeit liebe ich das. Es ist also keine Frage von Vorzügen und Nachteilen, sondern eine Notwendigkeit. Wenn der Kampf endet, habe ich verloren.

Die Bücherwelt dreht sich immer schneller. Manche Autoren bringen vier bis sechs Bücher pro Jahr auf den Markt. Einen Roman in 30 oder 60 Tagen zu schreiben, wird überall als machbar angepriesen. Siehst Du dieser Entwicklung gelassen entgegen oder fühlst Du Dich dadurch unter Druck gesetzt?

Es setzt mich schon unter Druck. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass die allerwenigsten Bücher, die derart schnell produziert werden, auch Qualität besitzen. Ausnahmen gibt es natürlich. Bekanntlich wurde auch Im Westen nichts Neues in wenigen Wochen geschrieben. Manchmal ist es eine brennende Notwendigkeit, in kürzester Zeit ein Werk fertigzustellen, aber Fließbandarbeit führt zu Fließbandergebnissen. Für mich wäre es unmöglich, ein Werk so schnell herzustellen und dabei noch meinen eigenen Standards zu genügen. Durch diese Entwicklung habe ich mir aber dennoch vorgenommen, drei bis vier Veröffentlichungen pro Jahr anzupeilen. Das werden allerdings größtenteils Erzählungen und Kurzgeschichten sein, höchstens ein Roman pro Jahr.

Wenn Du anderen Nachwuchsautoren einen Rat geben solltest, welcher wäre das?

Lasst euch Zeit, sammelt Erfahrungen, lest viel, lebt euer Leben und wenn ihr ein Manuskript fertiggestellt habt, legt es einige Wochen beiseite, bevor ihr es überarbeitet. Dieser Abstand ist wichtig.

Du hast im Mai Deinen ersten Roman, Sorck, veröffentlicht. Erzähl mal!

In Sorck geht es um Martin Sorck, der seinen Besitz und seinen Lebensinhalt verliert, als ihm die Wohnung abbrennt. Neben zwei gepackten Koffern bleibt ihm nur noch ein Kreuzfahrtticket. Er zieht los und macht eine Kreuzfahrt durch die Ostsee, während er eine verständlicherweise üble Laune hat. Während um ihn das totale Chaos regiert, versucht Martin sein Leben wieder zu sortieren.

Es geht um Kontrollverlust, um die Schrägheit der Welt, in der wir leben, um Kritik daran und um Wege, mit sich selbst und dieser seltsamen Welt zurechtzukommen.

Einiges habe ich im Laufe des Interviews ja bereits verraten und auf meinem Blog stehen noch mehr Einzelheiten und Hintergründe. Rezensionen kann man ebenfalls recht leicht online finden.

Woran arbeitest Du gerade und was sind Deine nächsten Projekte?

Am 2. Oktober ist eine Sammlung mit Gedichten unter dem Titel Alte Milch erschienen, an der ich Ende September noch mit einem Freund gearbeitet habe. Jetzt arbeite ich an einem Projekt, über das ich leider noch nichts verraten darf, über das ich mich aber sehr freue. Wenn das gegen Ende Oktober abgeschlossen sein wird, überarbeite ich mein aktuelles Romanprojekt, eine Dystopie, weiter, um danach einige Erzählungen zu überarbeiten und als E-Book zu veröffentlichen. So geht es dann immer weiter. Projekte und Ideen habe ich genug.

Wo kann man Dich online am besten erreichen, wenn man sich für Dich und Deine Bücher interessiert?

Am detailreichsten beschrieben findet man mich auf meinem Blog. Dort gibt es auch Infos zu aktuellen Projekten und Links zu Interviews, Rezensionen etc. Ansonsten findet man mich auf Twitter, auf Instagram oder auf Facebook. Diese Links gibt es ebenfalls alle auf dem Blog.

Vielen Dank für das Gespräch, Matthias.


Wenn Du jetzt Lust bekommen hast, auch unter die Nachwuchsautoren zu gehen, dann schau doch mal in meinen Beitrag Crash-Kurs für Autoren hinein. Darin begleite ich Hobbyautoren von der Buchidee bis zum fertigen Buch und noch ein Stückchen weiter.


Dr. Birgit Constant


Birgit Constant ist promovierte Mediävistin, hat elf Sprachen gelernt und sich in Übersetzung, IT und PR herumgetrieben, bevor sie in der Buchwelt landete.

Sie schreibt historische Romane für Leser, die geschichtlich und sprachlich ins Mittelalter eintauchen wollen, und hat einen Ratgeber für Nachwuchsautoren veröffentlicht, die mit deutscher Bürokratie und Buchmarketing kämpfen.

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